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Beim Digital Marketing werden oft Grenzen überschritten. Was technisch möglich ist, wird auch gemacht. Dabei sind die vermeintlichen Vorteile oft gar keine, denn der Chief Marketing Officer (CMO) rechnet oft den Schaden nicht ein, den beispielsweise Retargeting oder Social Listening anrichten können.
Marketing-Tools sind wie Waffen: Wer sie besitzt, schießt auch damit
Retargeting macht dem CMO mehr Spaß als dem Kunden
Social Listening ist keineswegs immer sozial
„Creepy“ – diesen Begriff verwenden die Analysten von Forrester Research für das unheimliche Gefühl, das nahezu jeden Konsumenten irgendwann einmal beschleicht, wenn er im Web unterschwellig mit Werbung konfrontiert wird. Forrester beschreibt es als ein „Unbehagen, das Menschen fühlen, wenn soziale Normen verletzt werden oder wenn sie sich in Bereichen aufhalten, in denen gar keine sozialen Normen existieren.“ Die Analysten betonen, dass es sich dabei gar nicht um Rechtsverstöße handeln und auch niemand zu messbarem Schaden kommen müsse.
Die technischen Innovationen im Internet haben dazu geführt, dass der CMO und seine Marketing-Abteilung ausprobieren, was geht, und dabei die Grenze zwischen cool und creepy immer wieder überschreiten. Möglichkeiten gibt es zuhauf: Konsumenten sind heute hypervernetzt, lassen sich über ihre Smartphones theoretisch überall hin verfolgen und hinterlassen großzügig ihre Daten, aus denen hervorgeht, wo sie sind, wen sie kennen und was sie interessiert.
Firmen beherrschen Gratwanderung beim Digital Marketing nicht
Tools für das geräteübergreifend Identifizieren von Nutzern, das automatische Ein- und Verkaufen von Werbeflächen in Echtzeit (Programmatic Advertising) oder auch für Predictive Analytics ermöglichen Marketing-Abteilungen tiefe Einblicke in das Kundenverhalten. Der Vorteil ist, dass sie Kundenbedürfnisse besser verstehen und so – im besten Fall – Ansprache und Servicegrad präzisieren und verbessern können. Der Nachteil: Viele Firmen beherrschen die erforderliche Gratwanderung nicht. Sie möchten innovativ sein und die neuen Möglichkeiten des personalisierten Marketings nutzen, doch sie verschrecken die Kunden, weil sie ihnen oft unfreiwillig signalisieren, was sie über sie wissen und welche Macht sie über sie haben.
Mancher CMO behauptet, die neuen Taktiken des digitalen Marketings seien gar nicht so anders als das, was im analogen Marketing seit jeher gang und gäbe ist: Kundensegmentierung etwa, das Schnüren individueller Angebote oder VIP-Services. Doch während in solchen Fällen ein guter Marketing-Mitarbeiter Kontakt zum Kunden hält und dessen Vorlieben versteht, funktioniert das beim Retargeting im digitalen Marketing nicht. Der Kunde kann sich nicht wehren, er kann kein Feedback geben. Er kann dem Unternehmen nicht mitteilen, dass er eine bestimmte Werbung nicht mehr auf seinem Rechner sehen möchte oder dass er sich für ein Produkt nicht mehr interessiert – womöglich, weil er es schon besitzt.
Das Toilettengespräch als Opportunity?
Ähnlich verhält es sich mit dem „Social Listening“, dessen sich viele Marketiers bedienen, um zu hören, wie sich Kunden über Produkte oder Unternehmen äußern und ob sie sich womöglich beschweren. Die einfache Wahrheit lautet: Kein Mensch möchte, dass Unternehmen ihrer Konversation im Netz lauschen – es sei denn, der Kunde spricht das Unternehmen explizit an. Auch in einem Kaufhaus wird eine gute Bedienung, die zufällig auf der Toilette einem Kundengespräch zuhört, nicht später auf den Kunden zugehen, um diese Geschäftschance zu nutzen.
Auch Kampagnen, die auf ortsbezogene Analytics fußen, können ins Auge gehen. Nicht alle Smartphone-Nutzer finden es gut, wenn sie in der Nähe eines Restaurants ein personalisiertes Angebot auf ihr Phone gesendet bekommen, obwohl sie keine App des Restaurant-Betreibers auf ihrem Gerät haben und dort auch nie Gast gewesen sind.
Für Marketing-Verantwortliche ist es also ein immer währender Spagat: Auf der einen Seite müssen sie natürlich die Kundenerwartungen nach personalisierter, relevanter Ansprache erfüllen, auf der anderen Seite darf das mühsam aufgebaute Vertrauen in eine Marke nicht verspielt werden. Die Analysten von Forrester Research haben 52 Konsumenten nach ihren „unheimlichsten“ Erlebnissen mit digitalem Marketing gefragt.
Was Kunden am Digital Marketing hassen
Datenmissbrauch – oder zumindest der Verdacht darauf: Konsumenten haben die Erfahrung gemacht, dass ein Anbieter ihre persönlichen Daten in einer Weise nutzt, die sie nicht verstehen oder nicht billigen. Das passiert etwa, wenn Online- und Offline-Daten ohne Erlaubnis verknüpft werden, wenn sensible Daten – beispielsweise aus der Online-Recherche von medizinischen Details – Grundlage für eine Kundenansprache oder Werbung werden, oder wenn demografische Zusammenhänge hergestellt werden, die dem Kunden nicht behagen. Hier entsteht der Eindruck, dass ein Unternehmen mehr über den Konsumenten weiß als es sollte beziehungsweise als der Kunde möchte.
Schaden beim digital Marketing
„Wenn ich nach einem Kamera-Objektiv suche, und in diesem Umfeld Werbung für Kameras aufpoppt, ist das nicht besonders unheimlich. Wenn ich aber medizinischen Rat suche und Werbung für bestimmte Medikamente erscheinen, ist mir das unangenehm“, sagte ein Umfrageteilnehmer. Ein anderer suchte im Web nach Kreuzfahrtangeboten und fand eine Woche später den Katalog einer Kreuzfahrtgesellschaft im E-Mail-Eingang – ohne irgendwo seine Adresse hinterlegt zu haben. Sehr „creepy“, wie der Betroffene findet.
Fehler bei der „Datenhygiene“: Nicht immer verursachen überdrehte Marketiers Unbehagen beim Kunden, manchmal ist auch einfach nur schlechtes Datenmanagement schuld. Das geschieht etwa, wenn Kundendatenstämme nicht bereinigt werden, nachdem Kunden abgesprungen oder verstorben sind. So wird das Beispiel eines Online-Blumenhändlers genannt, der eine Kundin auffordert, den Geburtstag der Mutter nicht zu vergessen – obwohl diese schon vor drei Jahren gestorben war.
Invasive oder aggressive Taktiken: In diese Kategorie fallen die meisten Aufreger, die Forrester protokolliert hat. Der Hintergrund: Marketiers sind so begeistert von Taktiken wie Retargeting oder Location-based Services, dass sie aktiv damit experimentieren und jedes Maß verlieren. Am Ende passiert hier das, was auch im analogen Geschäftsleben geschieht: Die Werbebotschaft wird als Ärgernis empfunden und erzeugt Abneigung. Beim Retargeting kann das schnell passieren: Kunden fühlen sich unwohl, wenn sie nach einer Online-Recherche von dazu passender Werbung hartnäckig über verschiedene Websites hinweg verfolgt werden.
Schlechte Erfahrungen werden weitergegeben
Wer glaubt, dass Kunden ihre schlechten Erfahrungen mit Werbung einfach so hinnehmen, der irrt. Forrester hat herausgefunden, dass 36 der 52 befragten Konsumenten ihre unangenehmen Erfahrungen mit Dritten geteilt haben. Die Mehrheit hat davon im Familien- und Bekanntenkreis erzählt, eine Minderheit hat die Erfahrung sogar im Social Web gepostet. So oder so: Der Imageschaden, der für Firmen entstehen kann, ist beträchtlich. Das gilt übrigens nicht nur für die Marketiers, die mit aggressiver Werbung vorangeprescht sind, sondern auch für die „unschuldigen“ Betreiber von Seiten, auf denen die Werbung aufgrund von Retargeting ausgespielt wird.
Besonders verunsichert reagieren Kunden, wenn Online- und Offline-Identität kombiniert oder Personen auf verschiedenen Endgeräten wiedererkannt werden. Die Kunden, die das erlebt haben, reagieren deutlich verschnupft und wollen mit der Marke oft nichts mehr zu tun haben. Die Hälfte der Umfrageteilnehmer hat nach eigenen Angaben den Kauf bei besonders aggressiven Unternehmen eingeschränkt oder ganz gestoppt.
Die Geister, die ich rief
Ähnlich viele haben ihr Datenschutz-Verhalten hinterfragt und ihre Einstellungen im Smartphone, im Browser oder auf Social-Media-Seiten geändert oder Adblocker installiert. Forrester kommt daher zu dem Schluss, dass all jene, die mit besonders aggressiven Techniken arbeiten, das gesamte „Digital Marketing Ecosystem“ gefährden.
Die Analysten empfehlen den Marketing-Abteilungen, nicht alles, was geht, sofort auszuprobieren, sondern erst einmal nachzudenken und sich in die Kunden hineinzuversetzen. Daten sollten nach ethischen Vorgaben genutzt werden, womit nicht nur die Datenschutz-Policy oder die Einhaltung des rechtlichen Rahmens gemeint sind. Vielmehr sollten Marketing-Verantwortliche sich immer die Frage stellen, welcher Schaden durch die Nutzung von bestimmten Daten entstehen könnte und wie sich dieser vermeiden lässt. Personalisierte Werbung rund um persönliche Gesundheits- oder Finanzdaten ist ein No-Go, schwierig sind auch Kampagnen , die demografische, ethnische oder sonst wie persönliche Informationen über den Kunden adressieren. Wenn immer es geht, sollte den Kunden zudem deutlich gemacht werden, warum sie eine bestimmte Werbung oder Empfehlung zu sehen bekommen. Zugekaufte Daten für das Marketing sollten stets von seriösen Anbieter kommen.
Datenhygiene muss sein
Gutes Daten-Management ist Pflicht – egal ob die Daten intern oder von einem Dienstleister gepflegt werden. Man sollte stets die bestmöglichen Tools für die Datenhygiene nutzen. Schlimm wird es, wenn vom Kunden persönlich hinterlassene Daten durch zugekaufte Datenbestände irgendwelcher Händler automatisch überschrieben werden. Bitten die Kunden um die Löschung von Daten, ist dem umgehend nachzukommen – in vielen Ländern ist das ohnehin gesetzliche Pflicht.
Schließlich empfiehlt Forrester zudem, das Vermeiden allzu aggressiver Marketing-Maßnahmen in den Unternehmensrichtlinien festzuschreiben und so in der Kultur zu verankern. Bevor sie neue Technologien und Verfahren testen, sollten sich Marketiers immer fragen: Wie würde ich mich fühlen, wenn ich der Kunde wäre?“ Man sollte auf die Kunden hören, wenn sie etwas beanstanden – und sein Verhalten ändern.